Technik allgemein

Die Zukunft der Radiologe – Spezialisierung, Telemedizin und die Krux mit Investoren

„Die Radiologie steht im Wesentlichen auf zwei Beinen: Diagnostik und minimal-invasive Intervention“, erklärt Prof. Dr. Bernd Hamm, Ärztlicher Centrumsleiter CC 6, sowie Direktor Klinik für Radiologie und Kinderradiologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Beide Standbeine geben der Radiologie festen Halt auf dem unruhigen Terrain der sich ständig und in schnellem Tempo weiterentwickelnden Medizin: „Der Bedarf an präziser Diagnostik steigt weiter an, das Volumen der Bildgebung wird also auch in Zukunft zunehmen“, betont Hamm. Auch die Breite des Faches und damit die Komplexität der Bildgebung wachse kontinuierlich an, erläutert der Experte und verweist beispielsweise auf die Prostata-MRT oder die Herzbildgebung, die beide noch nicht lange zum Portefeuille der Radiologie gehören. 

Zugleich kommen laufend Innovationen auf dem Gebiet der minimalinvasiven Gefäßintervention und bildgeführten Tumorablationen hinzu. „Es gibt zum Beispiel ein neues Verfahren zur Behandlung von Lungenarterienembolien, bei dem der Embolus radiologisch-interventionell abgesaugt wird. Patienten, die bis dahin eine schlechte Prognose hatten, können jetzt nach zwei Tagen wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden“, berichtet Hamm. 

„Diese Entwicklungen erfordern eine Spezialisierung innerhalb des Faches“, unterstreicht der Experte: „Natürlich ist jeder Radiologe zunächst einmal Generalist, aber er braucht zusätzlich ein oder zwei Gebiete wie beispielsweise die Prostata-, Herz- oder muskuloskelettale Bildgebung, auf die er sich spezialisiert.“ Spezialisierung könne am besten in großen Einheiten erreicht werden, also in universitären Krankenhäusern, solchen mit Maximalversorgung oder in großen Praxisverbünden. „Um radiologische Spezialisierung anbieten zu können, werden sich kleinere Abteilungen mit anderen Häusern zusammenschließen müssen. Das gleiche gilt wohl für niedergelassene Praxen“, erläutert der Klinikchef. Die Charité etwa betreut kleinere Häuser bei der Befundung und im Bereitschaftsdienst mit. Das funktioniere gut, weil die Radiologie geradezu prädestiniert für telemedizinische Anwendungen sei.

Die Telemedizin, so Hamm, könne auch zur Lösung einer strukturellen Herausforderung beitragen, mit der die Radiologie derzeit zu kämpfen hat: Radiologenschwemme in den Ballungszentren, Unterversorgung in der Fläche. „Radiologie ist das am besten digitalisierte Fach in der Medizin. Die Versorgung in der Fläche kann in hervorragender Weise durch die Teleradiologie unterstützt werden“, bekräftigt der Radiologe. Dazu müssten allerdings die restriktiven gesetzlichen Bestimmungen in Zusammenhang mit der Telemedizin geändert werden. Derzeit etwa darf Teleradiologie nur am Wochenende oder ab 18 Uhr stattfinden. „Der Radiologe vor Ort hat bis 16 Uhr Dienst. Was machen wir mit einem Patienten, der um 17 Uhr eine Untersuchung braucht?“ fragt sich Hamm und fordert eine Flexibilisierung der teleradiologischen Verfügungszeiten. 

„Die Radiologie ist eines der medizinischen Fächer, das sich am schnellsten entwickelt, die meisten Innovationen hervorbringt und am breitesten aufgestellt ist“, stellt Hamm fest. Daran möchten auch andere mitnaschen, etwa bei der muskuloskelettalen Radiologie: „Es ist bedauerlich, dass Fachgruppen, die über keinerlei MR-Expertise verfügen, diese abrechnen, dort wo es sich lohnt. Und das normale Kassengeschäft, das sich nicht rentiert, lassen sie über die Radiologen laufen.“ Dabei würden sämtliche Qualitätskriterien außer Kraft gesetzt, kritisiert Hamm, der keineswegs Befürworter der Bürgerversicherung ist: „Aber bei einer Weiterentwicklung in diese Richtung würde nur die Bürgerversicherung an diesem Punkt Abhilfe schaffen.“

Der Berliner Klinikchef warnt auch vor einer weiteren Entwicklung, die monetären Gewinn über diagnostische Qualität stellt. „Es wäre der Untergang der Radiologie, würde sie von Investoren aufgekauft, die primär auf die Rendite achten. Wenn nur noch auf Quantität gesetzt wird, kommt dies einem Ausverkauf des Faches gleich. Der Schlüssel für die Zukunft der Radiologie ist eine ausgewogene Kombination aus Quantität und Qualität,“ so Hamm abschließend.

PROFIL

Prof. Dr. Bernd Hamm hat seit März 1993 den Lehrstuhl für Radiologie inne und ist Direktor der fusionierten Radiologie der Charité. Bereits zum Studium kam der gebürtige Frankfurter nach Berlin an die Freie Universität. Nach der Anerkennung als Arzt für Radiologie arbeitete er als Oberarzt der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin im Klinikum Steglitz. Im März 1993 folgte er dem Ruf der Humboldt-Universität zu Berlin auf die C4-Professur für Radiologie der Charité. Anschließend übernahm er die Leitung der Klinik für Strahlenheilkunde am Campus Virchow-Klinikum und der Klinik für Radiologie am Campus Benjamin Franklin der Charité bedingt durch eine Rufabwehr und die Fusion der drei Universitätskliniken. Seit 2006 ist er zudem Leiter des Charité Centrums 06 (Radiologie, Neuroradiologie, Nuklearmedizin und Medizinische Physik) sowie fachlicher Leiter mehrerer MVZ der Charité für die Fächer Radiologie und Nuklearmedizin.

Er ist Sprecher des einzigen Sonderforschungsbereichs in der Radiologie (SFB 1340 „Matrix in Vision“). Zudem ist er seit vielen Jahren berufspolitisch im Berufsverband der Deutschen Radiologen aktiv. Er war Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), der European Society of Urogenital Radiology (ESUR), der European Society of Radiology (ESR), Kongresspräsident des Deutschen Röntgenkongresses 2011 sowie des ECR 2015 und 2018.

Mehr davon