„Bei uns weist jeder dritte Patient höheren Alters zusätzlich zur eigentlichen Pathologie eine stark eingeschränkte Nierenfunktion auf“, verdeutlicht Kramer die Relevanz des Problems. In all diesen Fällen muss individuell entschieden werden. Ist die diagnostische Aussagekraft der Untersuchung es wert, das Risiko einer weiteren Schädigung der Niere durch die Kontrastmittelgabe in Kauf zu nehmen? Je älter die Patientinnen und Patienten sind und je eingeschränkter ihre Nierenfunktion ist, desto dringlicher stellt sich diese Frage.
KEINE LEICHTE ENTSCHEIDUNG
Ausgehend von der klinischen Situation und der apparativen Vordiagnostik mit Ultraschall wird zunächst zwischen einer invasiven Darstellung in Form einer konventionellen Angiographie und einem Schnittbildverfahren, CT oder MRT, entschieden. Fällt die Wahl auf eine MR-Angiographie, werden die Nierenwerte zu Rate gezogen. Bei normaler Nierenfunktion liegt die glomeruläre Infiltrationsrate (GFR) bei 60 ml/min und mehr. Eine GFR von 45 ml/min weist auf eine mittelgradig eingeschränkte Nierenfunktion hin. Viele ältere Patienten haben jedoch nur eine GFR von um die 30 ml/min und sind damit dem Cut-off von unter 30 ml/min für den Einsatz von Kontrastmitteln gefährlich nahe. „Dann gilt es zusammen mit dem Kliniker zu entscheiden, ob wir die Bildgebung unbedingt brauchen und daher ungeachtet des Risikos Kontrastmittel applizieren“, erläutert Kramer.
ABWÄGEN – AUCH IM SINNE DES PATIENTEN
Bei Patienten mit Malignomerkrankung zum Beispiel, fällt die Entscheidung leichter – hier hat eine gute diagnostische Aussagekraft Vorrang, zumal, wenn sie therapierelevant ist. Bei der Gefäßdiagnostik müssen meist alle zur Verfügung stehenden Methoden geprüft werden. Die CT mit jodhaltigem Kontrastmittel fällt als Option häufig weg. „Grundsätzlich ist die MR-Angiographie eine gute Methode für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, auch weil die Röntgenstrahlen-Exposition entfällt“, ist Kramer überzeugt. Allerdings ist die Technik nicht nur teuer, sondern auch langwierig. Nicht alle Patientinnen und Patienten profitieren daher von der Untersuchung. Bei schweren Durchblutungsstörungen mit Ulcera an den Beinen und offenen Stellen ist ihnen kaum zuzumuten, eine Viertelstunde oder länger ruhig zu liegen.
KEINE ALTERNATIVE IN SICHT
Eine wirkliche Alternative gibt es nicht. Es gibt zwar die Doppler-Sonographie, mit der zumindest schon mal beurteilt werden kann, ob ein Gefäß perfundiert ist. Aber bei der Planung einer möglichen operativen Therapie wird in der Regel ein Überblick benötigt, um zu wissen, wo die hochgradigen Probleme lokalisiert sind. Daher lässt sich eine Becken-Bein-Diagnostik im Kontext der peripheren Angiographien kaum vermeiden. Auch die Verwendung anderer, weniger schädlicher Kontrastmittel, wie zum Beispiel Eisen, ist zumindest in der breiten Anwendung nicht zu empfehlen, sowohl hinsichtlich der Verträglichkeit als auch unter wirtschaftlichen Aspekten.
VERTRETBAR GUTE BILDQUALITÄT AUCH OHNE KONTRASTMITTEL
Bei speziellen Fragestellungen gibt es für das MR aber doch die Möglichkeit, auf nicht kontrastverstärkte Untersuchungstechniken zurückzugreifen: Bei der Darstellung der interkraniellen Gefäße zum Beispiel wird schon immer eine 3D-TOF-Angiographie durchgeführt, also ohne Kontrastverstärkung. Es gibt seit einigen Jahren zudem verfügbare Techniken, die auch kontrastfreie Angiographien im Bereich des Körperstamms, zum Beispiel zur Bildgebung der Nierenarterien oder im Bereich der Extremitäten ermöglichen. Das sind EKG-getriggerte Untersuchungstechniken, die zwar MR-spezifisch lange dauern, aber doch eine vertretbar gute diagnostische Bildqualität der großen Becken-Bein-Gefäße liefern. Damit stellen sie bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion eine Alternative dar, wenngleich sie qualitativ nicht an die räumliche Auflösung einer kontrastverstärkten Sequenz herankommen.
FRAGE DER VERFÜGBARKEIT
Kramer: „Wir verfügen im Hause über diese Technik, aber flächendeckend ist das sicherlich nicht so“. Angesichts einer Investition im fünfstelligen Bereich muss jede Institution oder Praxis für sich entscheiden, ob sich der finanzielle Aufwand lohnt. Bei einem Patienten pro Monat, der eine solche Untersuchung bräuchte, rechnet sich das nicht. Daher ist diese Technik in der Regel im niedergelassenen Bereich kaum anzutreffen. „Wir haben eine große Gefäßchirurgie mit einer Vielzahl von Patienten und versorgen etwa drei Patienten pro Woche mit diesem Verfahren. Grundsätzlich würden sich auch mehr Patientinnen und Patienten anbieten, aber wegen der in Summe guten Verträglichkeit der Kontrastmittel, bevorzugen wir bei Patienten, die mit ihren Nierenwerten an der Grenze sind, oft die kontrastverstärkte Untersuchung. Nur bei solchen, die eine GFR unter 30 bereits mitbringen, setzen wir auf die kontrastfreie Untersuchung.
57-jähriger Patient mit pAVK Stadium II b beidseits (links > rechts) bei subtotaler AIE-Stenose links direkt nach Abgang und rechts höhergradiger Stenose der AIE im Iliakalgabelbereich:
Die ceMRA (contrast enhanced MR Angiography) zeigt insbesondere die kleinen US-Gefäße wesentlich deutlicher als die MRA ohne Kontrast; allerdings ist die diagnostische Aussagekraft für die Beckenarterien, auf denen hier der Fokus liegt, gleich.
INDIVIDUELLE SITUATION IST ENTSCHEIDEND
„Wenn der Patient so krank ist, dass umgehend eingegriffen werden muss, gehen wir das Risiko einer potenziellen Schädigung ein“, betont Kramer. Um das Kontrastmittel möglichst schnell wieder zu extrahieren, wird der Patient im Anschluss umgehend dialysiert. Das funktioniert in der Regel gut. Kramer schränkt allerdings ein: „Man weiß vorher nie, wie der Einzelne reagiert. Es gibt Patienten mit schlechter Nierenfunktion, deren Werte nach Kontrastmittelgabe nicht zwangsläufig signifikant schlechter werden. Im Gegensatz zu anderen, die auch bei noch vertretbaren Nierenfunktionswerten nach der Prozedur doch deutlich schlechtere Werte aufweisen.“
Ein älterer Patient mit chronisch eingeschränkter Nierenfunktion, der nur noch eine Niere und per se eine GFR von beispielsweise 35 ml/min hat, muss nicht zwingend und zwangsläufig durch eine Kontrastmittelgabe dialysepflichtig werden. Aber man weiß es vorher nicht, das ist das Problem. Das Outcome kann sehr unterschiedlich sein, auch bei identischen Werten. Fakt ist: Je niedriger die Werte sind, desto höhergradig ist die vorliegende Einschränkung der Nierenfunktion. Da sich dann die Ausscheidung verzögert, zirkuliert das Kontrastmittel länger im Körper und die Wahrscheinlichkeit einer potenziellen Schädigung steigt.
Pofil
Prof. Dr. Ulrich Kramer schloss 1998 sein Studium der Humanmedizin an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen ab. Von 1998 - 2016 war er in unterschiedlichen Funktionen an dieser Universitätsklinik in der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie tätig, zuletzt als Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Leitender Oberarzt. Im August 2017 wechselte Kramer an die Rems-Murr-Kliniken Winnenden auf die Position des Chefarztes der Radiologie.
Seine Forschungsschwerpunkte sind die kardiale MRT, MRA, die onkologische sowie die Hochfeld-MRT-Bildgebung.
Kramer ist Mitglied in verschiedenen Arbeitsgruppen und Fachgesellschaften darunter der AG Herz- und Gefäßdiagnostik der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), der AG Gastrointestinal- & Abdominaldiagnostik der DRG sowie der European Society of Radiology (ESR) und der Radiology Society of North America (RSNA).